... der Falknerei in Hessen

Die Falknerei hat im Hessischen eine lange Tradition. Bereits im späten Mittelalter hatte die Falknerei eine große Bedeutung an den hessischen Höfen. Später, nach der Aufteilung der hessischen Gebiete 1567, gehörte die Beizjagd sowohl im landgräflichen (später kurfürstlichen) Hessen-Kassel als auch im landgräflichen (später großherzoglichen) Hessen-Darmstadt über mehrere Jahrhunderte zum höfischen Alltag. In der damaligen Landgrafschaft Hessen-Kassel jagte man vorzugsweise bei Wabern an der Schwalm, in Hessen-Darmstadt insbesondere um Darmstadt, Dornberg (Groß-Gerau) und Auerbach, den ergiebigen Jagdgründen der ehemaligen Obergrafschaft Katzenellenbogen. Gebeizt wurde auf Reiher, Kranich, Rotmilan, Wildgans, Trappe, Weihe, Wildente und Hase.
 
"Reiherbeize zu Wabern" nach einem Gemälde von Tischbein d.Ä.
Das größte Vergnügen aber versprach der hohe Flug auf den Reiher. Hoch anfliegend wurden ihm zumeist zwei bis drei Falken entgegengeworfen. Himmelhoch ging die Jagd, und der Luftkampf bot ein spannendes Schauspiel. Brachten die Falken den Reiher zu Boden, wurde dieser nicht getötet, sondern mit einer goldenen Plakette versehen und wieder in die Freiheit entlassen. Viele der hessischen Regenten waren begeisterte Beizjäger. Von Landgraf Philipp dem Großmütigen (1518-1567), dem die Faszination am Federspiel von seiner Mutter, Landgräfin Anna, einer leidenschaftlichen Falknerin, in die Wiege gelegt wurde, heißt es, dass er in die übelste Stimmung verfiel, wenn einem seiner Falken ein Leid geschah. Nicht minder der Beizjagd zugetan waren Landgraf Moritz (Kassel) und auch Landgraf Ludwig V. (Darmstadt, 1596-1626). Sein Sohn, Georg II. (1626-1661) unterhielt drei berittene Falkner, die im Jahr 1630 mit den Falken des Landgrafen nicht weniger als 121 Reiher, 19 Krähen und 2 Brachvögel fingen. Nach dem Ende des 30jährigen Krieges waren es in Kassel Wilhelm VI. und in Darmstadt Landgraf Ernst Ludwig (1678-1739), die die höfischen Falknereien wiederbelebten.
Die landgräflichen Falkner
In Darmstadt, wo mit Ernst Ludwig und dessen Sohn Ludwig VIII. (1739-1768) zwei leidenschaftliche Jäger nahezu 100 Jahre regierten, verlor die Beizjagd nichtsdestotrotz an Bedeutung. In dem zur Residenz ausgebauten Jagdschloss Kranichstein und dem umliegenden Wildpark frönte man nun lieber der Parforcejagd. Nicht so in Kassel. Hier war das Interesse an der Falkenjagd ungebrochen. Das gilt gleichermaßen für Landgraf Wilhelm VI., Landgräfin Hedwig Sophie und Landgraf Karl, die alljährlich vom König von Dänemark mit kostbaren Islandfalken beschenkt wurden. Ihre Blützezeit erlebte die Falknerei in Hessen zweifelsohne am Hofe der Landgrafen Wilhelm VIII. und Friedrich II. (1760-85) von Hessen-Kassel.
Ein Blick in den Reihersaal von Schloss Fasanerie
Der Aufwand und damit einhergehend die Ausgaben für das große Schauspiel der Falkenjagd stiegen von Jahr zu Jahr. Die großen Wandgemälde über die Reiherbeize von dem Kasseler Hofmaler Johann Heinrich Tischbein d. Ä. legen farbenprächtig und detailgenau Zeugnis davon ab. Ursprünglich für das Jagdschloss in Wabern angefertigt, hängen sie heute im Reihersaal von Schloss Fasanerie in Fulda-Eichenzell.
Friedrich II. von Hessen Kassel
Landgraf Friedrich II. war der letzte deutsche Reichsfürst, der die Beizjagd in großem Stil betrieb. Er zog stets mit zahlreichem Gefolge an Hof-, Militär- und Jagdbeamten, mit seinem französischen Theater, seinem Ballet und den italienischen Sängern der Hofkapelle nach Wabern zur Reiherbeize. Der Fürst und alle Vornehmen seines Gefolges, vor allem aber die Mitglieder des Falknerkorps, trugen dabei besondere Uniformen:
scharlachrote Röcke mit Aufschlägen und Kragen aus Samt und mit silberner Tresse besetzt. Die vornehmsten Jagdteilnehmer trugen die weiße Frisur mit dem schwarz-seidenen Haarbeutel. Am Hut wehten Reiherbüschel. Verbunden mit der Reiherbeize waren zugleich auch andere höfische Lustbarkeiten, wie militärische Manöver, Paraden, Schauspiele, Konzerte und üppige Tafeln, die sich mit der Beize abwechselten und höfische Pracht und Luxus entfalteten.
Es waren eben dieser Pomp und der verschwenderische Luxus, der im Zuge der Französischen Revolution und der mit ihr einhergehenden sozialen und gesellschaftlichen Umwälzungen der fürstlichen Falknerei in Hessen - und in allen anderen europäischen Fürstenhäusern - ein jähes Ende bereiteten. Zu offensichtlich erinnerte die Jagd mit dem edlen Falken an den verhassten Prunk und die Verschwendungssucht vergangener Zeiten. Erst mit Beginn des 20. Jahrhunderts erinnerte man sich wieder der alten Kunst, mit Vögeln zu jagen; indes nicht mehr als ein exklusives aristokratisches Vergnügen, sondern als eine besonders faszinierende Form der Jagdausübung.
 
© DFO Hessen / Dr. Peter N. Klüh